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All We Imagine as Light

Stadt der Frauen

ALL WE IMAGINE AS LIGHT erzählt, dokumentarisch-realistisch und zugleich poetisch, von drei Frauen in der Megacity Mumbai.

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Mumbai bei Nacht. Während die Kamera im Vorbeifahren einen Markt und das Treiben in den Straßen einfängt, erzählen verschiedene Menschen aus dem Off, was sie dazu gebracht hat, in die indische Megacity umzusiedeln: Streit mit dem Vater etwa oder eine heimliche Schwangerschaft. Erst nach dem Einstieg, der Verortung ihres Spielfilms an diesem Ort der Hoffnung auf ein besseres Leben, auf Arbeit und Geld, beginnt die eigentliche, fiktive Geschichte dreier Frauen, für die Regisseurin und Drehbuchautorin Payal Kapadia in Cannes 2024 mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde.

In der Millionenmetropole arbeitet Prabha (Kani Kusruti) als Krankenpflegerin. Neben ihrem Job, den sie gewissenhaft erfüllt, bleibt kaum Zeit für ihr Privatleben. Gemeinsam mit ihrer jüngeren Kollegin Anu (Divya Prabha) lebt Prabha in einer Wohnung, in die es ab und an hineinregnet. Von ihrem Ehemann, der vor Jahren zum Arbeiten nach Deutschland ging, hört sie nur noch selten, doch sie hat ihr Schicksal akzeptiert. Ihre Mitbewohnerin Anu dagegen kämpft um ihr Glück: Mit Shiaz (Hridhu Haroon), einem jungen Moslem, führt sie eine Beziehung, die das Paar vor beiden Herkunftsfamilien geheim hält. Vergeblich suchen die beiden einen Ort, an dem sie miteinander intim sein können. Neben den Protagonistinnen Prabha und Anu nimmt Payal Kapadia noch eine dritte Frau in den Blick: die ältere Krankenhausköchin Parvaty (Chhaya Kadam), der nach dem Tod ihres Mannes der Verlust ihrer Wohnung droht, da sie keine Papiere hat.

Payal Kapadia, Jahrgang 1986, gewann für ihr Dokumentarfilmdebüt A NIGHT OF KNOWING NOTHING 2021 in Cannes den Golden Eye Award, und auch ihrem Spielfilmdebüt ALL WE IMAGINE AS LIGHT merkt man den dokumentarischen Einfluss deutlich an. Ihre Heimatstadt Mumbai präsentiert Kapadia darin als eine Metropole, die auch in der Monsunzeit ständig im Wandel und in Bewegung ist, und in der nachts Tausende bunte Lichter funkeln, die sich als visuelles Motiv und Symbol der Hoffnung in dunklen Zeiten durch den Film ziehen. Doch vor allem zeigt sie Mumbai aus der weiblichen Perspektive ihrer Protagonistinnen, die sich zu Fuß, in Zügen, Straßenbahnen oder Bussen durch die riesige Stadt bewegen, im selben Krankenhaus arbeiten und sich dort vor allem um die Gesundheit von Frauen kümmern.

Dabei gelingt es Kapadia, das Leben ihrer Protagonistinnen auf realistische und gleichzeitig poetische Weise einzufangen. Kontemplative, oft nächtliche Szenen der Großstadt, unterlegt mit leichtfüßiger Klaviermusik, kombiniert sie mit auf der Leinwand aufploppenden Nachrichten, die Anu und ihr Freund austauschen, oder Gedichten, die Prabhas Verehrer, Dr. Manoj (Azees Nedumangad), der Probleme mit der Sprache Hindi hat und sich fremd in Mumbai fühlt, für sie schreibt. In langsamem Erzähltempo zeichnet Kapadia den Alltag der drei Frauen nach, denen die Freiheit in vielerlei Hinsicht genommen wird: in der Liebe, in ihrem Zuhause und in ihren persönlichsten Entscheidungen.

Während die offene, selbstbewusst-rebellische Anu immer konkreter plant, mit ihrem Freund zu schlafen, obwohl die Kolleg*innen im Krankenhaus bereits über sie tuscheln, erhält Prabha ein Paket aus Europa: Ihr Ehemann schickt ihr einen hochwertigen Reiskocher aus Deutschland, der sie von nun an wie ein Fremdkörper an den ihr so fremden Mann erinnert. Dass ihr Vater ihre Ehe arrangierte, vertraut sie Anu eines Nachts an. „Ich glaube, ich könnte das nicht“, entgegnet die jüngere Frau. Durch einen Ortswechsel im letzten Teil des Films – raus aus dem zuvor als „Stadt der Illusionen“ bezeichneten Mumbai – ändert sich die Situation: Prabha und Anu folgen Parvatys Einladung nach Ratnagiri, in deren Heimatdorf an der Küste, und dort, wo die Erde rot schimmert, teils an traditionell weiblich konnotierten Orten in der Natur wie dem Meer, dem Wald oder einer Höhle, können die Frauen ihre Liebe ausleben, wenn auch auf unterschiedliche, mehr oder weniger reale Weise.

Atmosphärisch dicht und in eindrücklichen Bildern erzählt Payal Kapadia in ALL WE IMAGINE AS LIGHT von weiblichen Sehnsüchten im Patriarchat und von Solidarität unter Frauen, gibt den Unterdrückten eine Stimme – und lässt auch Männer Schwäche zeigen. Für ihren feministischen, sozialkritischen und aufrüttelnden Film, dem ersten indischen Beitrag im Wettbewerb von Cannes seit 30 Jahren, erhielt Kapadia zurecht bereits mehrere Auszeichnungen. So sehr es erschüttert, wie viele Rechte den drei Protagonistinnen abgesprochen werden, so befreiend wirken die filmischen Momente, in denen die Freundinnen unterschiedlichen Alters auf ihre Art rebellieren – Alkohol trinken, tanzen, im Meer baden oder Steine auf das diskriminierende Plakat (“Class is a privilege. Reserved for the privileged.”) der Baufirma werfen, die Parvaty ihr Zuhause nimmt.

ALL WE IMAGINE AS LIGHT macht Hoffnung für die Zukunft der Frauen in Indien – und auf viele weitere feministische Filmbeiträge aus dem kulturell und filmisch vielfältigen Subkontinent: Anu, die jüngste der drei Frauen, lässt sich das, was für Prabhas Generation noch selbstverständlich war, trotz aller Widerstände nicht mehr gefallen – und Prabha versteht sie immer besser.

Stefanie Borowsky

Details

Frankreich/ Indien/ Niederlande/ Luxemburg 2024, 114 min
Sprache: Hindi
Genre: Drama
Regie: Payal Kapadia
Drehbuch: Payal Kapadia
Kamera: Ranabir Das
Schnitt: Clément Pinteaux Jeanne Sarfati
Musik: Dhritiman Das
Verleih: rapid eye movies
Darsteller: Kani Kusruti, Divya Prabha, Chhaya Kadam, Hridhu Haroon
Kinostart: 19.12.2024

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All We Imagine as Light

Frankreich/ Indien/ Niederlande/ Luxemburg 2024 | Drama | R: Payal Kapadia | Interview | NEUSTART

ALL WE IMAGINE AS LIGHT erzählt, dokumentarisch-realistisch und zugleich poetisch, von drei Frauen in der Megacity Mumbai.

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