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Interview

Das alte Westberlin war dunkel und kalt, das alte Ostberlin war dunkel und kalt.

Interview mit Charly Hübner und Sven Regener

Seit 1985 gibt es Element of Crime. 1991 erschien mit „Damals hinterm Mond“ das erste komplett deutschsprachige Album der West-Berliner Band um Autor, Sänger und Trompeter Sven Regener. Seither wurden Element of Crime, die es schaffen „Exceltabelle“ in einem Liebeslied unterzubringen, beständig erfolgreicher, ohne je zu Megastars zu werden. Schauspieler und Regisseur Charly Hübner (Der Tatortreiniger, MITTAGSSTUNDE, SOPHIA, DER TOD UND ICH) hat einen Dokumentarfilm über die Band gedreht. Pamela Jahn hat sich mit Regisseur Charly Hübner und Protagonist Sven Regener über ELEMENT OF CRIME IN WENN ES DUNKEL UND KALT WIRD IN BERLIN unterhalten.

INDIEKINO: Wann war für Sie klar, dass Sie diesen Film zusammen machen wollten?

Charly Hübner: Im Frühjahr 2021 erhielt ich einen Anruf von der Element of Crime-Managerin Charlotte Goltermann, ob ich mir vorstellen könnte, die Band mit der Kamera für eine Kino-Doku auf einer Berlin-Tour zu begleiten. Meine Antwort war: „Ja. Aber bist du dir sicher?“ Sie meinte dann, sie würde das noch mal mit der Band besprechen. Nach einer Weile rief sie wieder an: „Die Band findet das okay.“ Und dann war erst mal Ruhe, auch wegen Corona. Aber in dieser doch sehr klaren, norddeutschen Knappheit waren die Weichen für den Film damit irgendwie gestellt.

Sven Regener: Ja, aber man muss vielleicht dazu sagen, dass wir uns gar nicht sicher waren, ob es tatsächlich einen Film geben sollte. Die Idee ging vom Management aus. Jakob, Richard und ich, wir hatten eher Angst davor. Denn das kann ja auch ins Auge gehen. Nachher gefällt uns der Film nicht. Oder wir sind einfach scheiße und kommen doof rüber, kann alles passieren. Das muss noch nicht mal böse gemeint sein. Es ist eben nur so, dass wir als Band nur in Sachen Musik was können, in allen anderen Dingen sind wir eher hilflos. Aber weil Charly das machen wollte, haben wir eingewilligt, zu ihm hatten wir Vertrauen.

Wieso ausgerechnet zu ihm?

Weil wir Charly von einem Interview her kannten, das er mit uns für das DIFFUS-Magazin gemacht hatte. In dem Gespräch hat er wahrscheinlich mehr geredet als wir, und ernsthaft angefangen, uns die Band zu erklären, auf eine sehr exzentrische Weise. Das hat uns gefallen.

Legendär in dem Interview, das 2019 im Kino International stattfand, war der Vergleich von Element of Crime mit einer Mariachi-Band.

Sven Regener: Genau. Das war ein sehr exaltierter Vergleich mit einer Sache in Mexico City, wo Mariachi-Bands, alle auf Booten fahrend, durcheinanderspielen. In dem Moment dachten wir nur: What? Und das war natürlich toll, weil er eine ganz eigene Sicht auf die Band hatte, die gar nicht unsere eigene sein musste, die wir aber faszinierend fanden. Und wenn es schon einen Film über uns gibt, dann bitte einen, der uns selber überrascht, den man sich angucken und plötzlich das eigene Schaffen mit anderen Augen sehen kann. Nicht irgendwas Affirmatives, wie so ein Werbefilm.

Für mich war klar, das kann nur eine Hommage werden.

Herr Hübner, wie geht man dann als Regisseur an so eine Aufgabe heran?

Für mich war klar, das kann nur eine Hommage werden. Denn ich finde, das sieht man heute viel zu selten, weil alle immer mit diesem journalistisch korrekten Blick auf die Dinge schauen. Und ich wollte einfach das, was ich an der Band so super finde, ausgeweitet sehen. Natürlich, wenn dabei irgendeine exzentrische Aktion passiert wäre, die die Musikgeschichte der Band wahnsinnig beeinflusst hätte, wie ein Fernseher, der auf dem Kopf des Schlagzeugers landet, und seitdem kann er auf Tick spielen, dann hätte ich das auch mit reingenommen. Aber dem war ja nicht so.

Hatten Sie Bedenken, weil es auch ein Tour-Film ist, dass die Musik vielleicht anders klingen würde, als Sie sich das vorgestellt haben?

Sven Regener: Nein, das war einfach, den musikalischen Teil haben wir produziert. Wir wollten eh zum Film eine Live-Platte produzieren und haben dafür alle Konzerte komplett aufgenommen und diese Aufnahmen konnten dann auch für den Film benutzt werden. Wir haben Stefan Ernst dazu geholt, das war unser Toningenieur für die Musik, der hat alles aufgenommen und wir haben es mit ihm zusammen in seinem Studio gemischt. Uns war dabei wichtig, dass es die Musik ihren Live-Charakter behält, dass man sie nicht nachträglich schönt, keine künstlichen Zusatzstoffe, kein Hall aus der Maschine usw., alles nur aus dem jeweiligen Saal.

Haben Sie als Band die fünf Spielorte nach Gefühl ausgewählt oder auch nach dem Klang?

Sven Regener: Die Idee war, dass man vom Kleinen zum Großen geht. Wir haben 1985 im K.O.B. in der Potsdamer Straße angefangen, das war etwa die Größe des Privatclubs, in den ungefähr 200 Leute reinpassen, bis hin zu einem Spielort heute wie dem Admiralspalast oder der Zitadelle mit ca. 9.000 Leuten. Das war auch als Tournee interessant, weil man jeden Abend vor eine ganz andere Herausforderung gestellt war, von der Bühnengröße her, von der Saalgröße her und vor allem auch vom Sound her.

Hatte die Band bei dem verwendeten Archivmaterial auch ein Mittspracherecht?

Charly Hübner: Das war unser Ding. Die Band hat das Archiv geöffnet, wirklich komplett. Jakob ist der Archivar, und was das digitale Material angeht, haben wir alles bekommen, was es gibt. Dazu haben wir vieles beim RBB gefunden, und dann gab es auch noch das Print-Archiv. Insgesamt war das natürlich ausufernd und viel zu viel. Aber für mich war das Entscheidende, dass wir in diese Assoziationsketten reinkommen, die die Musik und die jeweiligen Texte dazu aufmachen.

Was genau meinen Sie damit?

Zum Beispiel so eine Zeile wie „Ich hab' noch irgendwo ein warmes Bier zu steh'n. Du kannst die Blumen damit gießen.“ Da würde man vielleicht eher denken: Die warme Flasche Bier können wir trotzdem trinken, könnte man ja auch sagen. Aber damit Blumen gießen, macht sofort drei Bilder auf, jetzt rein technisch beschrieben. Und ich dachte, da muss der Film auch hinkommen, weil es sonst so eine Talking-Heads-Doku wird, die zwar informativ ist, aber Kopfschmerzen macht. Nur, der Film soll ja in die Knochen gehen und ins Herz.

Fällt Ihnen noch ein Song ein, bei dem das ähnlich war?

Draußen hinterm Fenster. Ich wusste, dass Sven damals irgendwo in der Madonna saß, Anfang der Neunziger, in der Wiener Straße. Also habe ich überlegt: Was haben wir da für Bilder? Und was man im Film sieht, auch diese prügelnden Einwandererkinder, das ist alles aus dieser Zeit. So sah das da aus. Oder dann dieser freie Potsdamer Platz, wo Sven sich sonnt, aber wo vor einem Jahr noch die Grenzer standen. Das fand ich passend, mich hat das fasziniert.

Und die Frage ist: Wo bleibe ich konkret, und wo werde ich diffus?

Das Assoziative ist vielleicht das Überraschendste am Film. Am Ende dieser filmischen Collage hat man, selbst wenn man die Musik vielleicht vorher nicht so gut kannte, plötzlich das Gefühl, dass man die Band kennt

Sven Regener: Ich fand das auch irre. Wir waren alle drei sehr positiv überrascht, als der Film fertig war. Ich hatte zwischendurch mal eine Version gesehen, da gab es noch sehr viele sprechende Köpfe. Das mochte ich nicht so gerne. Ich wollte mich da nicht so viel sehen, wie ich unrasiert von der Vergangenheit erzähle, so nach dem Motto: Der dicke alte Mann erzählt vom Krieg. Aber Charly hat weiter und weiter daran gearbeitet und dann ist das am Ende so charmant geworden, ich kann die Band jetzt mal wirklich mit anderen Augen sehen, so wie sie sich für Charly darstellt.

Stand der Titel von vornherein fest?

Charly Hübner: Ja, es war der zweite Vorschlag und ich fand den Titel genau richtig. Das alte Westberlin war dunkel und kalt, das alte Ostberlin war dunkel und kalt. Das 1990er-Jahre-Berlin war auf einmal hell und bunt durch diese ganze Rave-Geschichte. Aber ich habe als Student im Wedding gewohnt, da war es trotzdem immer noch dunkel und kalt. Und diese Agentenstadt, diese Frontstadt. All das war Berlin ja auch. Ich wurde einmal von einer sehr einflussreichen Person gefragt, warum ich das „dunkel und kalt“ nicht als Vorlage nutze und den Song-Titel voranstelle. Seine Argumentation war: Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin, was passiert denn dann? Daraufhin habe ich gesagt: „Na, dann gehst du in ein Konzert von Element of Crime.“ Und das hat ihn total irritiert, dass ich so sofort so eine doofe Antwort parat hatte und nicht philosophisch wurde. Aber für mich steckt da ganz viel drin, was hinter der Band steht, gerade auch in der Gründungsphase.

Was genau?

Die Jungs haben es geschafft, eine Band zu gründen, die dir das Herz, die Seele und den Geist erwärmt und erweitert. Und wenn es so kalt wird in Berlin, musst du Element of Crime auflegen. Das geht gar nicht anders.

Gleichzeitig ist Name der Band verbunden mit einem legendären Konzert in der Zionskirche in Ostberlin 1987. Warum ist der Aspekt nicht im Film?

Charly Hübner: Weil es zu sehr verengt. Wenn wir eine Serie machem würden, hätte es sicher auch ein Kapitel über das Konzert gegeben. Aber es klingt immer viel einfacher, wenn man darüber redet. Der Aufwand wäre enorm gewesen. Und die Frage ist: Wo bleibe ich konkret, und wo werde ich diffus? Also man muss immer auf diese Grenze zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein kommen, damit dieser Effekt eintritt, den die Songs in einem auslösen und den ich im Film suchen wollte. Und rein faktisch hätte ich das Konzert zwar schon in zwei Minuten erzählt. Ich nehme damit aber diese ganze vegetative Atmung raus. Das ist, wie wenn man auf der Autobahn anhält, weil man pinkeln muss. Danach brauche ich gefühlt dreimal so lange, um wieder in die Schwingung zu kommen. Das war mir den Aufwand nicht wert für einen Film, der in eine ganz andere Richtung geht.

Herr Regener, Sie haben immer gesagt, Element of Crime, das ist ein großes künstlerisches Experiment, an dem sich stilistisch insgesamt wenig geändert hat. Wenn Sie jetzt zurückblicken auf diese 40 Jahre und den Film sehen, hat sich dann am Ende nicht doch auch etwas verändert?

Sven Regener: Das Interessante ist, dass wir auch ganz alte Songs heute immer noch spielen können und das immer noch funktioniert. Songs wie 'Moonlight' von der Basically Sad, einer LP von 1985, oder 'Nightmare' von der Freedom, Love and Happiness von 1988, und sie verschmelzen am selben Abend mit den Songs von heute. Das spricht sehr für die Band und ihre Songs. Natürlich ist die stilistische Bandbreite der Band schon relativ groß und jede neue Platte klingt schon auch ein bisschen anders. Man will als Band ja auch nicht das Gefühl bekommen, dass man sich wiederholt. Aber dennoch gehören die Songs alle zusammen, egal welche sprachlichen und musikalischen Mittel sie anwenden. Es ist immer, wie wenn man nach Hause kommt. Das ist halt Element of Crime. Das ist halt etwas, das wir geschaffen haben und das dann einfach da ist.

Das Gespräch führte Pamela Jahn

Pamela Jahn